Presseschau im April 2003: Arbeitszeitmodell

 

http://www.abendblatt.de/daten/2003/04/26/152592.html

Zielscheibe der Emotionen
Lehrerarbeitszeit: Schuldezernent im Schlagabtausch mit Eltern und Lehrern.

Von Peter Ulrich Meyer

Für den einen war es ein Besuch in der Höhle des Löwen, für fast alle anderen die Chance, Dampf abzulassen und sich zur Wehr zu setzen: Rund 200 Eltern und Lehrer waren in die Aula der Gesamtschule Winterhude gekommen, um über das neue Lehrerarbeitszeit-Modell zu diskutieren. Der Elternverein hatte auch Reiner Schmitz, den Vorsitzenden der Arbeitszeit-Kommission, eingeladen, um das von ihm mitentwickelte Modell zu verteidigen.

Die Front der Ablehnung bei Eltern und Lehrern war eindeutig. Mut wurde dem früheren stellvertretenden Landesschulrat und jetzigen Schuldezernenten der katholischen Kirchengemeinde für sein Kommen zwar attestiert, aber das war auch alles. Schmitz war die Zielscheibe der auch sehr emotionalen Kritik.

Manche Sorge vor der Zukunft wuchs ins Unermessliche. "Wir werden uns in eine Wolfsgesellschaft verwandeln", rief ein empörter Lehrer und meinte damit auch die Kollegien. Der Grund: An einer Schule sollen Lehrer je nach Fach unterschiedlich viele Stunden geben - je nach Korrektur- und Vorbereitungsaufwand. "Wenn wir rebellisch werden", rief der Pädagoge den Eltern zu, "dann für eure Kinder!"

Ein Mann, der sich als Vater und Lehrer vorstellte, sah sogar die Entwicklung der freien Gesellschaft gefährdet: "Das Prinzip der Demokratie steht auf dem Spiel, denn Bildung ist die Grundregel jeder Form menschenwürdiger Demokratie." Und die neue Arbeitszeit-Regelung ginge zu Lasten der Bildung.

Schmitz lehnte zwar die Verantwortung für die Entscheidung des Senats ab, die Arbeitszeit auch für Lehrer von 38,5 auf 40 Stunden zu erhöhen. Aber das Modell sei geeignet, Vorurteile gegen den Lehrerberuf als Halbtagsjob abzubauen und für mehr Gerechtigkeit in den Kollegien zu sorgen. Die Hamburger Lehrer stünden im internationalen Vergleich noch gut da: "Grundschullehrer in den USA müssen 25 Prozent mehr Stunden geben." Der Schuldezernent wandte sich gegen Totalkritik am Modell. "Das ist die Tragödie der organisierten Lehrerschaft, dass sie in den letzten 20 Jahren alles abgelehnt hat", sagte Schmitz und erntete lautstarken Protest. Die Einführung der verlässlichen Halbtags-Grundschule sei nach dem gleichen Muster bekämpft worden. "Damals war von Käfighaltung für die Kinder die Rede. Heute gilt die Reform bundesweit als vorbildlich." Doch die Kritiker ließen sich nicht überzeugen.

"Bei uns werden alle Kollegen in Zukunft 30 Stunden und mehr statt 28 geben müssen", sagte eine Grundschulleiterin. "Das ist nur auf Kosten der Qualität des Unterrichts möglich." Schmitz konterte scharf: "Die Lehrer nutzen ihr Monopol aus, indem sie die Eltern unter Druck setzen. Ein VW-Arbeiter kann einem Kunden doch auch nicht ans Herz legen, sich vor dem Autokauf mit den Arbeitsbedingungen im Werk auseinanderzusetzen." Schmitz' Rat an die Eltern, sich nicht "vor den Karren der Auseinandersetzung spannen" zu lassen, verpuffte. Beinahe einstimmig nahmen sie eine Resolution an, die das Arbeitszeit-Modell ablehnt.

erschienen am 26. Apr 2003 in Hamburg

 

http://www.taz.de/pt/2003/04/26/a0278.nf/text

Keil in die Schule
Elternverein Hamburg lehnt das Lehrerarbeitszeitmodell ab. Erfinder und Kommissionschef Reiner Schmitz räumt Gefahr der "Abrechungsmentalität" ein
Über das Lehrerarbeitszeitmodell regt sich jetzt auch der Hamburger Elternverein auf. Nach einer heftigen Diskussion mit dem Chef der Lehrerarbeitszeitkommission, Reiner Schmitz, verabschiedeten rund 200 Eltern am Donnerstagabend in der Gesamtschule Winterhude eine Protestresolution. Bildungssenator Rudolf Lange (FDP) treibe mit dem Modell einen "Keil zwischen alle an Schule Beteiligten". Schulformen, Fächer und Klassenstufen würden "gnadenlos gegeneinander ausgespielt", kritisierten die BesucherInnen.

Zuvor hatte der frühere Behördenleiter Schmitz das Modell vor der aufgebrachten Zuhörerschaft verteidigt. Es sei kein Mehrarbeitsmodell. Die fehlenden 1000 LehrerInnenstellen würden durch Anhebung der Mindestgrößen für Klassen erwirtschaftet. Dies sei zum Beispiel bei den Grundschulen vertretbar, weil es dort in den vergangen Jahren einen "Ressourcenzuwachs von 26 Prozent" gegeben habe.

Die Schulleiterin Angelika Fiedler vom Grundschullehrerverband wand sich vehement gegen die Behördenpläne. An ihrer Schule müssten alle Kollegen mehr und keiner weniger arbeiten. Zudem fürchte sie deutlich größere Klassen, die weit über dem Bundesschnitt liegen, was die Förderung des einzelnen Kindes erschwere. Fiedler: "Das Modell ist eine knallende Ohrfeige für eine ganze Schulform." Der Ressourcenzuwachs sei zudem allein für die Einführung der Verlässlichen Halbtagsgrundschule von 8 bis 13 Uhr verwandt worden.

Zuhörer warfen Schmitz eine "Taylorisierung des Lehrerberufs" vor. "Ich habe das große Glück, an einer Schule zu arbeiten, an der alle Kollegen liebevoll miteinander umgehen. Wenn ein alter Kollege sagt, er kann nicht mehr, arbeiten andere für ihn mehr. Diese Kultur wird jetzt kaputtgemacht", sagte ein dem Weinen naher Lehrer aus dem Publikum. Ein Nachteil des Modells, das räumte Schmitz ein, könne sein, dass an den Schulen eine "Abrechnungsmentalität entsteht, die dem Lehrerberuf nicht gut tut". "KAIJA KUTTER

taz Hamburg Nr. 7039 vom 26.4.2003, Seite 26, 69 TAZ-Bericht KAIJA KUTTER


 

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